Montag, 27. November 2023


 


Familienfeier

Klirrende Kälte zog von Osten heran, biss in jede unbedeckte Stelle meiner Haut, jeder Schritt lies die gefrorene Platte auf dem See gefährlich laut krachen, trieb mir den Angstschweiß auf die Stirn. Das Eis sang unter meinen Füßen. Das war ich nicht mehr gewohnt, hatte ich die letzten Jahre doch in der Sicherheit einer Großstadt verbracht.

„Das hier soll richtig sein?“, schimpfte ich vor mich hin. Mit zitternden Beinen setzte ich meinen Marsch über den See fort. Im Dunst tauchte ein düsterer Schatten auf. War das die Hütte, die meine Familie gemietet hatte? Eine Bewegung am Ufer der Insel fesselte meine Aufmerksamkeit. Etwas kam da. Etwas Großes, auf vier Beinen. Unsicher blieb ich stehen. Das Hecheln des Tieres klang schaurig und das Eis gab bei jedem Sprung, den es machte, knackende Geräusche von sich. Das wuschelige Ungetüm sprang mich an und warf mich zu Boden. Ich spürte seine mächtigen Pfoten auf meinem Brustkorb. Eine große Zunge schlapperte über mein Gesicht.

„Igitt, Lancelot!“ Mühsam hielt ich den Labrador zurück, der vor lauter Freude laut winselte. Ein Pfiff setzte dem feuchten Begrüßungsritual ein Ende.

„Na, ist das bequem, Schwesterchen?“ Grinsend beugte sich mein ältester Bruder über mich.

„Was soll das hier? Ist das wieder einmal einer eurer makabren Scherze?“

Bruder Nummer Zwei zog mich ungerührt auf die Beine, nahm mich in den Arm, um mich dann an meine Brüder weiterzureichen, die das Ritual wiederholten.

„Herzlich willkommen zur Familienfeier. Schön, dass du da bist“, riefen sie im Chor, schoben mich auf den Schlitten, den zwei prachtvolle Rösser zogen.

Auf der Insel, auf die wir jetzt mit Glockengebimmel zufuhren, flammten Lichter auf. Dort wartete der Rest meiner zahlreichen Familie auf mich. Mir wurde warm ums Herz.

Zeilenspiel alias Lara Elaina Whitman


Geschichte für den Adventskalender von Zeilenschlinger (Instagram) 27.11.2023

Foto: Norwegen, Lara Elaina Whitman

Dienstag, 15. August 2023

 

                                             


 

Braves Hundi

„Fifi! Komm!“

Gehorsam setzte sich der Hund in Bewegung.

„Braves Hundi!“ Der Hundeführer tätschelte den kantigen Kopf des Vierbeiners.

„Sag mal, du streichelst den?“ Sein Kollege schüttelte verständnislos den Kopf.

„Für mich ist der wie ein richtiger Hund. Der ist total lieb.“

„Schräg“, mischte sich die Kollegin ein und warf einen skeptischen Blick auf den Roboterhund, der interessiert zuhörte.

„Klar.“ Der Hundeführer klopfte dem Metalltier auf die Flanke. „Außerdem hat er auch soziale Skills und hört gut zu. Gell, Hundi. Ich mag dich.“

„Ich mag dich auch, Chef.“ Hundi grinste mit rosa Herzchen in den Kameraaugen. „und euch natürlich auch.“

 

 

L. E. Whitman für die Schreibchallenge #100tage100drabbles von Tris Merrigold, August 02/2023, Kurzgeschichte Nr. 4