Dienstag, 2. Januar 2018

Fanfiction Eriny - Die Folgen eines Kusses



Wir standen vor dem großen Schloss auf der Insel der Feenkönigin im Zaubersee. Es war Nacht, eine milde, frühsommerliche Nacht, durchdrungen von dem lauten Gesang zirpender Grillen. Große bizarre Schmetterlinge umflatterten duftende Blüten, die überreich an Sträuchern hingen, die nur in der Dunkelheit blühten. Der Mond schwebte über der Szenerie, groß und silbrighell, mit einem Ring um seine Mitte wie Saturn und verstärkte die Unwirklichkeit dieses Ortes.
»Bist du nervös?« Emarell Goldschwinge warf mir einen kritischen Blick zu.
»Wie kommst du darauf?«
Natürlich war ich nervös. Schließlich wird man nicht jeden Tag vor den königlichen Rat gezerrt. Mein letztes Zusammentreffen mit Shirinell Drachenfeder, der Königin der Feen, war schon eine Weile her. Damals hatte ich noch keine Ahnung wer ich wirklich war. Das hatte sich nun geändert, machte es aber nicht besser. Ich konnte die Feenkönigin einfach nicht leiden, vor allem, weil sie mir in all dem Schlamassel, welches ich hatte durchmachen müssen, nicht geholfen hatte. Kein bisschen. Das nahm ich ihr immer noch übel.
»Du kannst es nicht hinauszögern. Lass dich nicht einschüchtern. Ich bin ja so gespannt.« Emarell nahm meinen Arm und zog mich mit sich.
»Gespannt! Du untertreibst.« Mir war übel vor Aufregung. Ich sollte meine Tochter kennenlernen. Meine Tochter, die ich mit Grauwurzel hatte, dem Baumdämon. Bis heute hatte ich nicht einmal gewusst, dass ich Mutter war. Das war einfach nur abgefahren.
Wir liefen den langen Gang entlang, vorbei an den Wappen der vier Feenhäuser und betraten schließlich den Thronsaal. Shirinell Drachenfeder saß auf ihrem modernen Thron, umgeben von ihrem Hofstaat und hatte ihr übliches kühles Lächeln aufgesetzt. Das erweckte den Wunsch in mir einfach wieder zu gehen, doch ich nahm mich zusammen, denn mein Blick blieb an einem etwa achtjährigen Mädchen hängen, das vor dem Thron der Königin stand, stocksteif und ein wenig verloren. Mir blieb die Luft weg. Das musste sie sein. Sie sah mir tatsächlich ähnlich, bis auf den Umstand, dass ihre Haut graubraunfarben war und ihre Haare nicht rotbraun waren, so wie meine, sondern eher dunkelbraun mit einem rötlichen Ton darin. Aber die Locken waren genauso wie bei mir.
Das Kind richtete seinen Blick auf mich. Ich hielt die Luft an, denn aus dem herzigen Gesichtchen leuchteten mir Augen wie zwei Peridotsteine entgegen, grasgrün, ein deutliches Zeichen der Verwandtschaft mit den Dunkelelben von Drun. Diese Augen musterten mich nun gründlich von oben bis unten. Ein strahlendes und auch ein wenig erleichtert wirkendes Lächeln, erschien in dem bezaubernden Gesicht und ein leiser, weicher und sehr hoher Ton kam aus seinem Herzmund, der ein warmes Gefühl in mir hinterließ. Wie ich an der Reaktion der Anwesenden feststellen konnte, ging das nicht nur mir so.
»Mama!«, sang die Kleine und mir blieb vor Schreck fast mein Herz stehen.
»Saraell Sturmmöwe! Dies ist deine Tochter. Wähle einen Namen für sie. Du bist ab jetzt für ihre Ausbildung verantwortlich. Außerdem ziehe ich dir die Strafgebühr für das nicht genehmigte Verschenken eines Lebensfunkens und die Kosten für das königliche Dekret von deinem Lohn als Hüterin der Triskelepfade ab. Ihr könnt jetzt gehen.«
Shirinell Drachenfeder erhob sich und übergab das Zepter an Rosaell Drachenfuß, ihrer Nachfolgerin auf dem königlichen Thron der Eriny. Ohne mir einen weiteren Blick zu schenken, rauschte Shirinell Drachenfeder an mir vorbei, ihren Hofstaat im Schlepptau und fort war sie.
»Mach dir nichts daraus, Saraell. Sie ist alt und die Geschichte mit Gundaell Morgentau hat ihr ganz schön zugesetzt. Es ist schön dich zu sehen. Und auch dich, Emarell Goldschwinge. Komm, begrüße deine Kleine. Sie ist bezaubernd. Wir lieben sie jetzt schon sehr, auch wenn das gerade nicht so ausgesehen hat.« Rosaell Drachenfuß winkte uns zu sich.
Zögernd ging ich nach vorne. Meine Stiefel hallten auf dem steinernen Boden. Wie sollte ich mich verhalten? Doch das kleine Wesen nahm mir meine Hemmnisse. Es warf sich einfach in meine Arme und lachte, glockenhell und so bezaubernd, dass ich nicht anders konnte, als sie an mich zu drücken und dann lachte ich auch.
»Hast du einen Namen für mich?«, fragte das Mädchen.
Darüber hatte ich mir noch keine Gedanken gemacht. Wie sollten wir sie nennen? Ich blickte ein wenig hilflos zu Emarell.
»Du musst wählen, Saraell. Ich kann dir da leider nicht helfen.«
Ich seufzte innerlich. Warum waren Feen nur so kompliziert? Hätte ich doch nur Wresh mitgenommen. Er wüsste bestimmt, was ich nun tun sollte. Krampfhaft versuchte ich mich an alle Namen zu erinnern, die passend wären, aber mir fiel partout nichts ein. Mein Kopf fühlte sich an wie Watte. Vielleicht ging ich das falsch an.
»Also gut. In jedem Fall bekommst du den gleichen Familiennamen wie ich, Sturmmöwe, und du gehörst von nun an zum Haus Cygnor. Jetzt brauchen wir noch einen Vornamen. Hast du denn einen Wunsch?«
»Ja! Grauwurzel hat mir einen Namen gegeben, aber ich fürchte, den kann keiner aussprechen. Ich möchte einen Feennamen.«
»Grauwurzel hat dir einen Namen gegeben? Wir sollten ihn in jedem Fall als zweiten Vornamen hinzufügen.«
Der Gedanke an meinen toten Freund machte mich sehr traurig.
»Du brauchst nicht traurig zu sein. Er lebt in mir weiter. Er war sehr glücklich über dein Geschenk. Er war ein guter Vater. Ich liebe ihn sehr.«
Überrascht betrachtete ich das Kind in meinen Armen. Woher wusste sie, dass mich das so traurig machte? Die Kleine lächelte nur verständnisvoll und gar nicht kindlich. Sanft streichelte sie mit ihrer kleinen Kinderhand mein Gesicht. Erstaunt bemerkte ich, dass ihre Haut ganz weich und zart war. Ich hatte erwartet, dass sie sich wie die von Grauwurzel anfühlen würde, wie ein Baumstamm eben, aber das traf nicht zu. Sie fühlte sich absolut menschenähnlich an, wie ein fast normales Kind. Überhaupt hatte sie nicht viel von dem Baumdämon, bis auf die Eigenart, sich eng an mich zu drücken. Zumindest das hatte sie mit Grauwurzel gemeinsam. Er war auch sehr anhänglich gewesen. Kein allzu beruhigender Gedanke für mich. Musste ich dieses Kind jetzt immer mit mir herumschleppen? Ich war noch nicht bereit für eine Mutterrolle, als alleinerziehende Mutter sozusagen, denn Grauwurzel war ja nicht mehr da. Und mir Grauwurzel als Vater vorzustellen war völlig unmöglich für mich. Verwirrt schob ich die Gedanken von mir. Das brachte mich der Lösung des Problems nicht näher. Das Kind brauchte einen Namen. Ich stand auf und nahm das Mädchen bei der Hand.
»Ich vermisse Grauwurzel sehr und außerdem verdanke ich ihm sehr viel. Komm, lass uns einen Feennamen für dich finden.«
Emarell grinste nur belustigt und folgte uns hinaus. Zusammen gingen wir hinunter ins Archiv. Das Archiv war tatsächlich so, wie ich es erwartet hatte. Es befand sich im Untergeschoss des Schlosses, in einem der großen Kellergewölbe. Eine Unmenge Regale standen hier, alle penibel sauber gehalten. Darin lagen tausende von Papierrollen und Urkunden. Es dauerte eine Weile, bis wir den Bereich mit den Geburtsurkunden der Feen gefunden hatten. Ich begann zu blättern, Rollen auseinanderzuziehen, Dokumente durchzusehen. Es war wirklich schwer. Es gab eine Menge Namen. Viele waren sehr seltsam, manche unaussprechlich, doch nichts schien mir passend zu sein für dieses Geschöpf, das nun meine Tochter war.
Ich betrachtete das Kind eine Weile, das sich vertrauensvoll an meinen Arm schmiegte, und dann wusste ich plötzlich, wie ich sie nennen würde.
»Was hältst du von Gienaell? So hieß meine Mutter. Sie war sehr tapfer.«
Das kleine Dämonen-Feen-Mädchen blickte mich mit einem tiefgründigen Augenausdruck an und nickte schließlich.
»Ja, das gefällt mir. Ich bin nun und für alle Zeit Gienaell Krkzebrakzebrkozek Sturmmöwe, die Nachfahrin der tapfersten Feen und Baumdämonen auf Aremar. Ich bin sehr stolz darauf. Vielen Dank, Mama!«
»Willkommen in unserer Familie, Gienaell!«, sagte Emarell Goldschwinge herzlich.
Ich war froh, dass sie den unaussprechlichen Namen nicht erwähnte, den Grauwurzel dem Mädchen gegeben hatte. Rasch nahm ich das Kind in den Arm, aber ich vermied es, ihm einen Kuss zu geben. Wer weiß, ob dann noch ein Spross wachsen würde. Ein Kind auf diese seltsame Art zu bekommen, war vorerst genug für mich.