Familienfeier
Klirrende Kälte zog von Osten heran, biss
in jede unbedeckte Stelle meiner Haut, jeder Schritt lies die gefrorene Platte
auf dem See gefährlich laut krachen, trieb mir den Angstschweiß auf die Stirn.
Das Eis sang unter meinen Füßen. Das war ich nicht mehr gewohnt, hatte ich die
letzten Jahre doch in der Sicherheit einer Großstadt verbracht.
„Das hier
soll richtig sein?“, schimpfte ich vor mich hin. Mit zitternden Beinen setzte
ich meinen Marsch über den See fort. Im Dunst tauchte ein düsterer Schatten
auf. War das die Hütte, die meine Familie gemietet hatte? Eine Bewegung am Ufer
der Insel fesselte meine Aufmerksamkeit. Etwas kam da. Etwas Großes, auf vier
Beinen. Unsicher blieb ich stehen. Das Hecheln des Tieres klang schaurig und das
Eis gab bei jedem Sprung, den es machte, knackende Geräusche von sich. Das
wuschelige Ungetüm sprang mich an und warf mich zu Boden. Ich spürte seine
mächtigen Pfoten auf meinem Brustkorb. Eine große Zunge schlapperte über mein
Gesicht.
„Igitt, Lancelot!“ Mühsam hielt
ich den Labrador zurück, der vor lauter Freude laut winselte. Ein Pfiff setzte
dem feuchten Begrüßungsritual ein Ende.
„Na, ist das bequem,
Schwesterchen?“ Grinsend beugte sich mein ältester Bruder über mich.
„Was soll das hier? Ist das
wieder einmal einer eurer makabren Scherze?“
Bruder Nummer Zwei zog mich
ungerührt auf die Beine, nahm mich in den Arm, um mich dann an meine Brüder
weiterzureichen, die das Ritual wiederholten.
„Herzlich willkommen zur
Familienfeier. Schön, dass du da bist“, riefen sie im Chor, schoben mich auf
den Schlitten, den zwei prachtvolle Rösser zogen.
Auf der Insel, auf die wir jetzt
mit Glockengebimmel zufuhren, flammten Lichter auf. Dort wartete der Rest
meiner zahlreichen Familie auf mich. Mir wurde warm ums Herz.
Zeilenspiel alias Lara Elaina Whitman
Geschichte für den Adventskalender von Zeilenschlinger (Instagram) 27.11.2023
Foto: Norwegen, Lara Elaina Whitman